Interview mit Sahar Amin

Frau Amin, an welcher Schule unterrichten Sie?

An der Albrecht-von-Graefe-Schule in Kreuzberg im wunderschönem Graefekiez. Die Schule hat einen hohen Migrationsanteil und es gibt viele Kinder aus bildungsfernen, sozial schwachen Familien.

Warum haben Sie sich entschieden, Tanz in Schulen für Ihre Schüler*innen anzubieten?

Für mich war Tanzen schon immer eine Form des Ausdrucks. Unsere Schülerinnen und Schüler können oft nicht besonders gut Deutsch sprechen, weil sie das von zuhause nicht mitbekommen haben und oft in ihrem Milieu stecken bleiben. Mit Deutschen haben sie nur wenig zu tun. Ich glaube, dass vielen ein Ausdrucksmittel fehlt. Die Sprache haben sie nicht, darin sind sie nicht kompetent genug, um sich auszudrücken. Aber Tanzen ist in ihrem Kulturkreis etwas, das sie von klein auf mitbekommen. Und es ist eine Sprache, mit der sie ihr Selbstwertgefühl stärken können. Und auch mal etwas von sich zeigen können, etwas einbringen können.

Was gefällt Ihnen besonders an TanzZeit?

Die Offenheit. Bei TanzZeit geht es zwar um zeitgenössischen Tanz, aber es gibt auch viel Hip-Hop und eine Offenheit für andere Kulturen. Das reizt mich am Tanzen mit TanzZeit. Ich bin jetzt schon das dritte Jahr dabei und will immer wieder mitmachen. Ich bin ein echter TanzZeit-Fan.

Wie erleben Sie ihre Schüler*innen während der Tanzstunden?

Gemischt. Es gibt manche, die sind dankbar. Aber es gibt auch ganz viele, die erst reinwachsen müssen, sich zu zeigen. Sie sind in der Pubertät, viele haben Identitätsschwierigkeiten, wissen gar nicht, wer sie sind und sollen sich plötzlich expressiv zeigen, sollen Sicherheit auf der Bühne ausstrahlen, all das was zum Tanzen dazugehört. Da ist es eine echte Herausforderung, immer am Ball zu blieben. Wenn es dann zur Aufführung kommt, wollen manche nicht, dass die Familie oder Freunde sie auf der Bühne sehen.

Aus Scham?

Sie fühlen sich verletzbar. Sie haben Angst, dass sie tanzen und es sieht lächerlich aus. Sie sind gewohnt auf Instagram Perfektionismus zu inszenieren. In der Pubertät ist die Selbstwahrnehmung oft gestört. Sie fühlen sich dick und unbeholfen, dagegen sieht es total schön aus, wie sie sich bewegen. Sie haben kein Gefühl dafür, wie sie wirken. Das ist noch nicht fertig. Auf der anderen Seite hilft das Tanzen ja genau dabei sich wahrzunehmen.

Hat es schon einmal geklappt, durch die Tanzstunden die Selbstwahrnehmung der Schüler*innen zu verändern?

Ich spüre sehr genau, wie stolz manche sind, wenn sie sich im Video sehen, wie sie grinsen. Es motiviert sie zu sehen, dass sie eine Wirkung haben. Das liebe ich am Tanzen, dass ich sehe, wie es die Kinder stark macht und selbstbewusst.

Wie haben sie das Tanzen mit den Schüler*innen während der Pandemie erlebt?

Ganz schwierig. Viele sind abgetaucht und in ihrem Milieu steckengeblieben. Wir mussten ganz viel online machen. Aber viele haben gar kein Zimmer für sich alleine. Während die ältere Schwester noch schläft und gerade die Schule schwänzt, ist es schwierig, daneben Tanzbewegungen zu machen. Manche hatten ja nicht einmal einen Laptop oder eine Kamera.

Bitte vervollständigen Sie zum Schluss noch den Satz: TanzZeit ist …

… eine Chance sich zu zeigen, sich zu entwickeln und mit anderen Akteuren außerhalb der Schule in Kontakt zu kommen. Hier werden die schwachen Schüler, die wenig Selbstwertgefühl haben, am Ende bei der Aufführung erleben, dass sie die Stärkeren sind und erkennen: Wow, wir können auch was, die Leute klatschen, stehen wegen uns auf. Das ist ein neuer Raum, der für uns als Schule eröffnet wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Interview: Laura Kraus
Fotos: René Löffler